Interview mit Dr. Jenny Yu, Leiterin der Forschung und Entwicklung (F&E) des Continental-Geschäftsfelds ContiTech in China über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie. Dr. Yu leitet nicht nur die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten von Continental in den Bereichen Fördertechnik und industrielle Fluidlösungen für den chinesischen Markt. Vom regionalen Hauptsitz in Shanghai aus spielt sie auch eine führende Rolle, wenn das Technologieunternehmen einen proaktiven Beitrag zu neuen Technologien leistet, welche die Zukunft der Mobilität bestimmen werden – einschließlich der Wasserstoff- und Brennstoffzellen.
Fragen an unsere Expertin Dr. Jenny Yu
Frau Dr. Yu, warum engagiert sich Continental für technologische Lösungen für Wasserstoff- und Brennstoffzellenanwendungen?
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Dafür kann man sicher viele Gründe nennen. Im Mittelpunkt steht jedoch die Verpflichtung von Continental als Unternehmen, bis 2050 CO2-neutral zu werden. Das schließt unsere Materialien, unsere Abläufe und unsere Prozesse ein, die viel nachhaltiger werden müssen. Und dieser Ansatz betrifft natürlich auch unser Produktportfolio. Wir wollen mehr und mehr Produkte mit Bezug zu erneuerbaren Energien hinzufügen. Wasserstoff und Brennstoffzellen passen eindeutig in dieses Bild, weil sie sauber und wirklich emissionsfrei sind. Aus meiner Sicht wird Wasserstoff das Kraftpaket für das 21. Jahrhundert sein. Deshalb investiert Continental in diese Zukunftstechnologie, um einen Beitrag zu seinen Plänen für die Klimaneutralität 2050 zu leisten.
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Warum steht China im Mittelpunkt der Aktivitäten von Continental in der Brennstoffzellentechnologie?
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Dafür gibt es eine Reihe von treibenden Faktoren. Sie wissen vielleicht, dass die chinesische Regierung in den letzten Jahren einige Entscheidungen in Bezug auf Nachhaltigkeit getroffen hat. Das Land ist dem Pariser Abkommen beigetreten und hat sich verpflichtet, bis 2060 kohlenstoffneutral zu werden. Ein Teil davon war ein nationaler Fahrplan für Wasserstoff und Brennstoffzellen. In gewisser Weise wollen die Chinesen sowohl bei Elektrofahrzeugen als auch bei der Wasserstofftechnologie führend sein, so wie Europa und die USA bei der Verbrennungsmotortechnologie führend sind. Das bedeutet, dass die chinesische Regierung Unternehmen stark unterstützt, die in die Forschung und Entwicklung von Wasserstoff- und Brennstoffzellen sowie in die Produktion im Lande investieren wollen. Das gilt sowohl für die Zentral- als auch für die Bezirksregierung, die Subventionen für diese Art von Aktivitäten gewähren.
Man kann diese Bemühungen bereits im wirklichen Leben sehen, wenn man sich die Anzahl der mit Brennstoffzellen betriebenen Busse oder Nutzfahrzeuge ansieht, die derzeit auf den Straßen unterwegs sind, oder die Anzahl der Wasserstofftankstellen. Das wiederum bedeutet, dass es hier in China bereits einen guten Markt für unsere Produkte gibt und eine Reihe interessanter Kundinnen und Kunden, für die wir unsere Komponenten entwickeln können. Continental will sich diese Faktoren zunutze machen und hier in Changshu das erste Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Kompetenzzentrum des Unternehmens einrichten. Besser könnte es gar nicht sein.
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Ist die Brennstoffzellentechnologie aus Ihrer Sicht die Antwort auf die Zukunft der Mobilität, und was könnte der Hauptgrund sein, der ihren Durchbruch derzeit verhindert?
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Das Haupthindernis im Moment ist eine Kostenfrage. Lassen Sie uns kurz zurückgehen und uns ansehen, wie Wasserstoff heute hergestellt werden kann. Um Wasser in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff aufzuspalten, braucht man Energie. Und um diese zu produzieren, kann man fossile Brennstoffe wie Öl, Erdgas oder Kohle verwenden. Dieser Wasserstoff wird als grau bezeichnet, weil er nicht wirklich nachhaltig produziert wird. Darüber hinaus kann Wasserstoff auch das Ergebnis eines völlig unabhängigen Produktionsprozesses wie in einer Raffineriesein. Dieses Nebenprodukt wird blauer Wasserstoff genannt. Er ist immer noch nicht grün, aber zumindest verbrennt man keine zusätzlichen fossilen Brennstoffe. Und die dritte Möglichkeit, Wasserstoff zu erzeugen, ist, wenn man nachhaltige Energie wie Sonnen- oder Windkraft nutzt. Das ist der wirklich grüne Wasserstoff, den wir gerne sehen würden. Die Produktion ist also ein großer Kostenfaktor, zumindest vorerst. Der andere Faktor sind die Transportkosten, denn dieser Wasserstoff muss von dort, wo er erzeugt wird, dorthin gebracht werden, wo er gebraucht wird. Diese Infrastruktur muss aufgebaut werden und erfordert viele Investitionen. Wir glauben, dass Wasserstoff irgendwann die ultimative Hauptenergieform sein wird. Das Betanken mit Wasserstoff dauert nur ein paar Minuten und sorgt für eine höhere Fahrleistung.
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Erzählen Sie uns von Ihren aktuellen Wasserstoff- und Brennstoffzellenaktivitäten in China. Woran arbeiten Sie gerade und wie sehen Ihre Pläne aus?
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Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir ganz Continental vertreten können, um relevante Brennstoffzellenkomponenten zu liefern, und wir sind nicht auf ein oder zwei Geschäftsbereiche oder Produktkategorien beschränkt. So können wir in unserem nagelneuen Kompetenzzentrum und an unserer Produktionsstätte in Changshu unsere Technologie- und Materialkompetenz sowie unser Fertigungs-Know-how unter Beweis stellen. Mit einem der Big Player auf dem chinesischen Markt konnten wir bereits eine strategische Vereinbarung treffen: ReFire. ReFire ist ein Hersteller von Brennstoffzellen-Stacks und Brennstoffzellen-Systemintegrator mit einer starken Präsenz bei Nutzfahrzeugen in China. Im Rahmen dieser Vereinbarung arbeiten wir an Komponenten für Stack-Halterungen, Stack-Endplatten und Wasserstoff-, Luft-, Wasser- und Kühlmittelschlauchsysteme. Erfreulicherweise waren sie von dem dort versammelten Talentpool so beeindruckt, dass sie bereits neue Projekte für die nächsten Jahre geplant haben.
Darüber hinaus haben wir eine strategische Vereinbarung für unser Industriegeschäft getroffen. Sie wissen ja, Wasserstoff muss irgendwie transportiert und abgegeben werden, und dafür braucht man geeignete Schläuche und Anschlusslösungen. Eines der führenden Unternehmen in diesem Bereich in China ist Censtar, mit dem wir seit zehn Jahren zusammenarbeiten. Sie sind Spezialistinnen und Spezalisten für herkömmliche Zapfsäulenlösungen, haben sich aber inzwischen auch auf das Geschäft mit Wasserstoff spezialisiert. Sie wissen zu schätzen, dass Continental ein global agierendes deutsches Unternehmen ist, das als sehr qualitäts- und technologieorientiert bekannt ist und über eine große Präsenz von mehr als 5.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in China verfügt. Sie vertrauen uns und unserem guten Ruf und glauben an unsere Stärke als großes, internationales Unternehmen.
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Welche Verbindungen haben Sie zu Ihren Kolleginnen und Kollegen in Deutschland?
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Natürlich können wir nicht alleine daran arbeiten, die Brennstoffzellentechnologie voranzubringen. Viele unserer deutschen F&E-Kolleginnen und -Kollegen arbeiten mit uns zusammen, wenn es um Technologie- und Materialkompetenz geht, während wir wertvolle Informationen über die Bedürfnisse und Anforderungen der Kundinnen und Kunden miteinander teilen. Wir sind also ein integraler Bestandteil der F&E-Struktur und ich denke, dass eine enge Zusammenarbeit wirklich der beste Weg ist, um unsere Technologien voranzutreiben. Für uns ist das also wirklich vorteilhaft.
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Wie war es, während Covid-19 aus der Ferne mit all Ihren Kolleginnen und Kollegen auf der ganzen Welt zusammenzuarbeiten?
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Im Großen und Ganzen hat es meiner Meinung nach sehr gut funktioniert. Mit den verschiedenen Kommunikationsmitteln ist es einfach, ein Gespräch zu führen und zu sehen, wie unsere Kolleginnen und Kollegen auf das reagieren, was wir denken und sagen. Natürlich wäre es schön gewesen, gelegentlich ein persönliches Treffen zu haben, aber insgesamt war es sehr effektiv. Bei der Zusammenarbeit mit unseren Kundinnen und Kunden in China sind wir nicht so stark betroffen. Sowohl 2020 als auch 2021 konnten wir reisen, unsere Kundinnen und Kunden besuchen und an persönlichen Treffen teilnehmen. Aber ich hoffe, dass unsere deutschen und weiteren internationalen Kolleginnen und Kollegen wieder an diesen Kundenbesuchen teilnehmen können, wenn die Covid-19-Pandemie unter Kontrolle ist.
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Wie sehen die nächsten großen Meilensteine in der Entwicklung der Brennstoffzellentechnologie aus? Wann rechnen Sie damit, dass das erste Brennstoffzellenfahrzeug mit Komponenten von Continental in die Serienproduktion geht?
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Nun, wir haben die Genehmigung erhalten, ReFire in kleinen Mengen mit unseren Prototypen und Komponenten für ihre Fahrzeuge zu beliefern. Ich gehe also davon aus, dass die ersten Fahrzeuge mit diesen Teilen im Jahr 2022 auf die Straße kommen werden. Ab 2025 wird die Menge mit dem Aufschwung des FCV-Marktes (Brennstoffzellenfahrzeuge) zunehmen. So viel zur Fahrzeugseite des Marktes. Im Bereich der Wasserstoffabgabe haben wir ebenfalls an marktfähigen Lösungen gearbeitet. Insgesamt würde ich erwarten, dass wir bis 2023 einen vernünftigen, soliden Fußabdruck in der Welt des Wasserstoffs haben werden.
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Was macht die Arbeit an neuen Technologien wie Brennstoffzellen für Sie persönlich spannend?
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Als F&E-Mitarbeiterin ist es immer interessant, ein Team zusammenzubringen und weltweit zusammenzuarbeiten. Und natürlich sind neue Ideen aufregend, wie z. B. mit unseren Produkten in einen völlig neuen Bereich vorzustoßen, den noch niemand zuvor erforscht hat – das ist sehr erfüllend für mich selbst, aber auch für mein Team. Es wäre schön, die Ersten zu sein.
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Und worin besteht die größte Herausforderung, wenn man sich in unbekannte technologische Gebiete vorwagt?
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Die größte Herausforderung liegt im Aufbau einer engen Beziehung zu den Kundinnen und Kunden. Sie können ihre genauen Anforderungen nennen, sodass wir ein Produkt entwickeln können, das ihre Erwartungen in Bezug auf Funktionalität, Qualität und Sicherheit erfüllt und darüber hinaus den Industrienormen entspricht. Um diese Norm zu erfüllen, ist ein sehr wissenschaftlicher Ansatz mit Simulationen und gründlichen Tests von Materialien und Produkten erforderlich, für die wir entsprechende Testmöglichkeiten schaffen.
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